Oder: Warum Wandern wieder cool ist und was das mit Rittern und Drachen zu tun hat
Ist Wandern eine kostengünstige Option für eine last minute Urlaubsrettung bei Dauerregen? Die Freitagsgefühl Redaktion hat es getestet…
Juhu! Wir fahren in den Sommerurlaub! Das kann man gar nicht laut genug sagen, während man über die Wasserlachen auf der Autobahn schliddert und außerhalb der Fensterscheiben nur undefinierbares, verschwommenes Grau vorbeirauscht. Im Dauerregen zu verreisen hat seinen Charme, solange man ein Flugzeug besteigt.
Nur, dass schmaler Geldbeutel + wenige freie Tage + Hund im Gepäck leider keinen Flug in die Sonne ergeben.
Aber hey, Deutschland kann auch aufregend sein. Und wild. Und actionreich. Von unserer Abenteuerreise hält uns auch kein Dauerregen ab! (Unauffällig schiele ich zu meinem dicken Buch und freunde mich mit dem Gedanken an einen faulen Nachmittag im schnuckeligen Landhotel an.) Doch nichts da. Die Natur ruft.
Deutscher Wandertag lässt grüßen
Der Hunger treibt uns von der Autobahn in die Innenstadt von Eisenach. Plötzlich heißen uns bunte Spruchbänder, Grillbuden und eine riesige Bühne willkommen. Unbedarft sind wir direkt in den 117. Deutschen Wandertag gestolpert! Direkt fühlen wir uns in unserem Outdoor-Funktions-Outfit nicht mehr ganz so deplatziert. Ausgelassene Stimmung herrscht hier, überall lautes Lachen und knallbunte Regenschirme. Wussten wir es doch, Wandern ist wieder cool!
Au ja, gleich mal auf Instagram teilen. Und da kommen wir ins Stutzen. Wie, nur 29-mal wurde der Hashtag genutzt? Au weia. Ein vorsichtiger Blick links und rechts verrät, was sich unter den farbenfrohen Funktionsjacken verbirgt: Definitiv nicht unsere Altersgruppe und erst recht nicht Generation Hashtag…
Auf Drachenjagd
Wir lassen uns nicht entmutigen und starten unsere Wandertour im Mariental. Ziel ist die abenteuerlich klingende Drachenschlucht. Unser eigener kleiner Drachen rennt volle Kraft voraus, springt mühelos über breite Rinnsäle und tiefe Schlammgruben, die sich durch den Dauerregen gebildet haben.
Die Wände der Schlucht kommen näher, der Weg wird schmaler und der Fluß reißender. Ein Vorhang aus Wassertropfen verziert die moosbewachsenen Felsen neben uns. Wasserfälle stürzen sich glitzernd vom Felsrand in den Bachlauf. Die Wanderschuhe schmatzen im Morast und mehrmals müssen wir uns über Steine und Stöcke über den überfluteten Weg weiter voran kämpfen.
Der Name Drachenschlucht kommt nicht von ungefähr. Die Fantasie schlägt hier Purzelbäume. An der engsten Stelle der Klamm müssen wir abrupt stehenbleiben. Gerade einmal 70 cm breit ist die Spalte, die sich zwischen den meterhohen Felswänden hindurchschlängelt. Das Highlight der Drachenschlucht! Gerade allerdings hat es sich die Natur zurückerobert. Wildes Wasser tobt hindurch. Selbst mit kniehohen Gummistiefeln wäre hier kein Durchkommen mehr möglich.
Später versuchen wir es über einen steilen Umweg von der anderen Seite aus. Wir hangeln uns mutterseelenallein durch die Schlucht, springen über reißende Bäche. Doch an den engsten Stellen haben die Wasserfluten Vorrang. Na, wenn das mal kein Abenteuer ist!
Wir kehren ins Mariental zurück, am Königsstein vorbei und ziehen los in die Landgrafenschlucht.
Mitten im wilden Urwald
Zu Beginn wirkt der Wald freundlich mit den unzähligen Wasserfällen und ist herrlich erholsam. Über Stunden begegnen wir niemandem. Unmerklich schlägt die Stimmung um. Gruseliger Tannenwald schluckt das Tageslicht. Dichter Nebel steigt aus den Büschen auf und ein Vogel schreit kläglich. Unaufhörlich rauscht das Wasser in ohrenbetäubender Lautstärke zu unseren Füßen vorbei.
Rutschige Holzbrücken führen über Wasserfälle und entlang des tosenden Baches mitten durch die enge, tiefe Schlucht. Hier gibt es keinen Handyempfang, keine Zivilisation. Nur uns und unsere Kindheitserinnerungen an Märchenwelten.
Als wir oberhalb der Landgrafenschlucht ankommen, öffnet sich das Blattwerk plötzlich. Wir blicken weit über die Hügel: Nichts als das Grün der unzähligen Baumwipfel, in denen sich weißer Nebel verfängt. Atemberaubend schön. Plötzlich röchelt hinter uns ein unbemerkter Jogger und erschreckt uns damit fürchterlich.
Fallen lassen in der Fliegerschule
Schlammbespritzt und tiefenentspannt gelangen wir schließlich zum Auto; wenige Minuten später lassen wir uns in die weichen Hotelbetten des Land- und Golfhotels Alte Fliegerschule fallen. Am Hang eines Weinberges wurde die ehemalige Fliegerschule aus NS-Zeiten in den 1990er Jahren umgebaut und bietet nun neben Hotelzimmern und Ferienwohnungen ein gehobenes Restaurant mit frischer Küche und sympathischem Service. Roter Teppich, schweres Mobiliar und steinerne Säulen im Saal sorgen für ein imposantes Ambiente.
Ritter spielen auf den Drei Gleichen
Nach einem gemütlichem Frühstück freuen wir uns auf den Nationalen GeoPark Thüringen Inselsberg – Drei Gleichen. Der Geopark hat mehrere Touren ausgearbeitet, unter anderem den Saurier-Erlebnispfad (GeoRoute6).
Nach der Drachenjagd tags zuvor entscheiden wir uns natürlich für die Ritter und Burgen. Denn die „Drei Gleichen“ sind drei Hügel mit je einer Burg bzw. Burgruine. Die Burgenroute führt zu allen drei Burgen der „Drei Gleichen“. Der Sage nach entzündete ein Kugelblitz im Mittelalter alle Burgen gleichzeitig, sodass sich deren Feuerschein wie drei gleiche Fackeln im See spiegelte. Daher der Name.
Von sogenannten „bad lands“ über Schauhöhlen bis hin zu seltenen Tieren und Pflanzen gibt es in der Region allerhand zu entdecken. Für uns führen die Wanderwege durch zu viel Zivilisation. Wir erobern stattdessen lieber den Steigerwald bei Erfurt.
Ich sehe was, was du nicht siehst … und das ist grün
Das ist er, der Steigerwald bei Erfurt: Wieder Wald, wieder Matsch und Schlamm. Unsere Route führt uns auf mannshoch überwucherten Trampelpfaden, vorbei am Teufelssumpf, an uralten Grabhügeln und an verlassenen Schutzhütten.
Der Regen lässt nach, die Sonnenstrahlen brechen durch die Baumkronen und tauchen die Welt um uns in schimmerndes Glitzern. Schließlich öffnet sich der Wald und gibt einen herrlichen Blick auf das Thüringer Becken frei. Kornfelder, alte Dörfchen, bewaldete Hügel.
Wir folgen einem Feldweg, der an weiträumigen Koppeln vorbeiführt. Hier springen übermutige Fohlen umher. Bunt gescheckte Pferde traben gemächlich über die Wiesen und genießen die durchbrechende Sonne.
Für uns geht es wieder hinein ins grüne Ungewisse. Kreuz und quer schlängelt sich der Weg; mal durch Geäst, Morast und Gebüsch; mal durch lichte Buchenwälder.
Warum wandern cool ist
Erschöpft, übersät von Kletten und Gestrüpp und hungrig erreichen wir spät am Abend unser Zuhause. Zwei Tage lang waren wir im Dauerregen an der frischen Luft unterwegs. Wir erlebten kleine Abenteuer und viel Action. Und das mitten in Deutschland. Selten fühlten wir uns nach einem Urlaub so erholt und entspannt wie jetzt.
Unser Fazit?
Wandern ist cool! Es braucht nicht viel mehr als wetterfeste Schuhe, Regenjacke und eine Karte oder die Routen-App Komoot (aber nur solange Empfang da ist). Der Regen störte überhaupt nicht, sondern schuf überhaupt erst abenteuerliche Routen und Naturschauspiele. Wandern ist also echt eine Alternative in verregneten Sommerferien.
Was ist heute cool? Individualität, Landlust, low budget, Outdoor-Sport und tolle Momentaufnahmen. Genau das macht Wandern aus. Tagelang meditierend durch die Natur zu stapfen, bringt mich persönlich nicht unbedingt zum inneren Gleichgewicht. Andere vielleicht schon. Ich genoss dafür die abenteuerlichen Pfade, die Orientierungssuche, die verwunschenen Wälder, die kleinen Details am Wegesrand, die herrlichen Aussichten und die muntere, unbeschwerte gemeinsame Zeit – ohne Zivilisationskrach.
Schnapp dir deine Familie oder Freunde und los geht’s in die wilde Natur Deutschlands!