Anleitung für Bücher-Junkies und Messe-Newbies
Die Leipziger Buchmesse öffnet ihre Tore und schon herrscht Ausnahmezustand in Leipzig: schillernde Elfen und skurrile Manga-Kreaturen bevölkern die Straßenbahnen und an allen Ecken warten aufgebaute Mikros auf ihren Einsatz. Genau genommen an 571 Schauplätzen. Denn parallel zur Buchmesse feiert die gesamte Stadt mit ihren Bewohnern Europas größtes Lesefest: „Leipzig liest“. In über 3.400 Veranstaltungen wird „das gedruckte, gezeichnete und vertonte Wort“* gefeiert. Denn die Leipziger Buchmesse ist kein typisches Messe-Stelldichein überambitionierter Schlipsträger, sondern eine Art Volksfest für alle Wortliebhaber und Kulturbegeisterte und zugleich eine Pilgerstätte für Cosplayer im Rahmen der Manga-Comic-Convention.
Doch nicht jeder hat eine emotionale Beziehung zu Büchern und nicht alle können oder wollen sich ins Getümmel stürzen. Darum gibt es diesmal ein Novum des Freitagsblogs: Ein persönlicher Bericht der Redaktion für alle Daheimgebliebenen und eine Anleitung für alle Wochenendbesucher.
Denn seit mehr als zehn Jahren bedeutet der März für die Freitagsgefühl Redaktion, auf DAS Großereignis in der Messestadt hinzufiebern, sich schließlich freudetrunken mit der Masse durch die Hallen tragen zu lassen und voller Eindrücke, mit vollgestopften Werbetaschen gemeinsam mit Manga-Fans in überfüllten Straßenbahnen zurückuzukehren in den Alltag – oder zur nächsten Release-Party, Aftershow oder Poetry-Slam mit einem Line-up deluxe.
Doch diesmal teilt die Freitagsgefühl Redaktion ihre Erfahrungen von der Leipziger Buchmesse mit euch da draußen an den Displays. Um diese Hingabe an die Welt der Bücher, bunten Medien und kreativen Freaks gebührend „verbloggen“ zu können, sollte der Messebesuch diesmal jedoch professionell und so, ähm ja, „erwachsen“ ablaufen. Was daraus geworden ist, lest ihr in diesem ausnahmsweise persönlichen Bericht.
Buchmesse für Fortgeschrittene
Wie es sich für einen Profi gehört, durchforstete ich vorab akribisch das Programm und erstellte mir aus über 400 Veranstaltungen (allein am Messestandort und nur am Eröffnungstag) einen zugegeben etwas zu ambitionierten Neun-Seiten-Zeitplan. Gut, dass ich direkt in den „Wake-up-Slam“ von Arte hineinstolperte und erstmal dem großartigen Volker Surmann bei einer Poetry-Slam-Einlage zum Thema Bahnfahrt lauschen konnte. Und schwupps, waren Zeit und Menschenmassen vergessen. Aber halt, die nächste Veranstaltung wartete ja bereits.
Eigentlich warten sogar vier Veranstaltungen gleichzeitig auf mich, natürlich in unterschiedlichen Hallen. Lieber eine Signierstunde in der Comic-Area instagramtauglich verfolgen, einen Lettering-Workshop so typisch blogmäßig begleiten oder ganz journalistisch die Vorstellung der Nominierten für den Buchpreis dokumentieren? Puh. Ich verirrte mich schließlich zur Eröffnung des Standes Litauen, das diesjährige Schwerpunktland. Die Rede war unverständlich und langweilig, Häppchen wurden erst später serviert und die Folklore-Band verpasste ich knapp, während ich vergebens auf den Start des Literaturpreises wartete. Und so hüpfte ich brav gemäß Terminplan von Stand zu Stand, lauschte in Lesungen hinein und beäugte Diskussionsrunden und Nominierungen. Fazit: Ich bekam nichts wirklich mit, sah nichts im dichten Gedränge und blickte mehr auf die Liste als auf die Regale links und rechts. Buchmessenflair? Fehlanzeige.
Also Strategiewechsel. Brav setzte ich mich für die gesamte Dauer in den Vortrag mit dem verheißungsvollen Titel: „Knackige Texte im Web…“; in der Hoffnung, daraus einen eigenen Blogbeitrag zu gestalten. Nun ja, was ich gelernt habe: Überschriften sollten „packend“ sein, „content is king“, aber bitte schön smartphonetauglich mit gaaanz kurzen Wörtern und Sätzen. Ah ja. Darauf erstmal ein Kaffee. Den gibt es – ausgerechnet – am Stand der Hallenser. Er sei laut MDR und dem älteren Herrn neben mir der beste der gesamten Messe. Gegen Coupon gibt es den sogar gratis. Das ist gut so, denn wider besseren Vorhabens habe ich mein Geld doch wieder für allerlei schönen Krimskrams von Rannenberg&Friends dagelassen.
Der Kaffee hatte den Gilmore-Girls-Effekt: Vergiss die Erwachsenenwelt und freue dich einfach über den Moment. Ich gab meine Terminliste frustriert auf und schlenderte erleichtert durch die Reihen der jungen Verlage. Sogleich entdeckte ich witzige Aufbauten (z.B. von den unabhängigen Schweizer Verlegern „swips“) und lauschte einigen cleveren Marketingkniffen am Stand von Neobooks. Ich begegnete spannenden Menschen und gleichgesinnten Selbstständigen und gegenseitig pushten wir unsere Produkt- und Kooperationsideen. All die Hektik war vergessen. Plötzlich stolperte ich sogar in den Standbereich des Satyr-Verlages (den meisten bekannt durch die Poetry-Slam-Fibel) von niemand geringerem als Volker Surmann persönlich! Hier wird selbst die knallharte Redakteurin zum Groupie und erklimpert sich erstmals ein Autogramm…
Das ist es wieder da, dieses nervöse Kribbeln wie als Kind vorm Süßigkeitenregal. Ich lasse mich verschlucken von dieser anderen Welt, in der ich umgeben bin von druckfrischen Buchtiteln, neugierigen Verlegern, hibbeligen Autoren und aufwendig kostümierten Manga-Fans. Ich bewundere uralte Druckmaschinen, lasse mich verführen in exotische Länder und bleibe bei spannenden Wortfetzen stehen.
Zum Beispiel in dem Gespräch „“Fuck fuck fuck fuck fuck“ -Warum Lächeln keine Lösung ist“ mit Margarete Stokowski und Ronja von Rönne. Diese erklärt soeben: „Wut heißt, es kümmert mich noch. Wut ist wichtig, denn es bewahrt den Aktionismus.“ Wie passend, dass ich daraufhin immer wieder auf Sebastian Krumbiegel und seinen unermüdlichen Einsatz für Courage treffe. Neben Migration, Courage und Europa ist Luther natürlich eines der diesjährigen Knallerthemen. Überraschend Kurzweiliges hat Thomas Dahms im Angebot: Mithilfe der Macherin des Yadegar Asisi Panoramas hat er die Reformation in einen unterhaltsamen, historisch fundierten Comic gepackt (ISBN: 978-3-926560-84-1)
Buchmesse für Anfänger
Bücher sind nicht so dein Ding und Fachmessen sowieso nicht? Dann wird es höchste Zeit für einen Crashkurs in Leipzig. Denn hier ist die Buchmesse kein ödes Kräftemessen von angestaubten Verlagen und Anzugträgern. Hier begegnen sich großartige Ideen, Cosplayer und Bücherfreaks, Bildungsmedien und Start-ups, politische Diskussionen und witzige Aktionen. Hier kann man mitmachen, ausprobieren und staunen. Zudem veranstaltet die Stadt das größte Lesefest Europas. In über 600 teils skurrilen Lokalitäten, von der Hundeboutique, über den Friedhof bis zum Opernhaus bieten Autoren, Musiker, Künstler, Comedians und Promis kostenfrei ihr Stelldichein. Es ist eine Art Volksfest, nur ohne Krawall und mit einem Riesenrad aus Fantasie und Inspirationen.
Für die Buchmesse empfiehlt es sich, bequemes Schuhwerk, Kleingeld für überteuerten Kaffee und viel Zeit mitzunehmen. Die Sparfüchse drucken sich den Coupon für gratis Kaffee vorab aus (siehe Werbebanner unter dem Programm HIER). Übrigens: Die Toiletten mit den kürzesten Wartezeiten befinden sich passenderweise zwischen Halle 3 und 5…
Wer unbedingt seinen Lieblingsautor live erleben möchte, sollte sich frühzeitig einen Platz ergattern. Ansonsten rät die Redaktion ausdrücklich: Lass dich treiben! Oder gleich von der Masse mitschieben. Stöbere im riesigen Antiquariat, lass dir kostenlose Probeabos aufschwatzen, stibitze Werbestifte und beteilige dich bei Mitmach-Aktionen. Verweile, solange dich die Worte fesseln und verdränge die Sorge, du würdest etwas verpassen. Kleiner Tipp: Halte dich von Preisverleihungen fern: Sie sind überfüllt, langwierig und im Internet lassen sich die Gewinner eh viel besser verständlich nachvollziehen. Den Preis der diesjährigen Buchmesse für Belletristik gewann übrigens Natascha Wodin für „Sie kam aus Mariupol“.
Messe „light“ als perfekte Einstiegsvariante gibt es bereits ab zehn Euro ab 15 Uhr. Die Infos zu Öffnungszeiten und Preise findest du HIER.
Wer es schafft, so überdimensioniert viele Worte in einem Blogbeitrag zu lesen, der schafft es auch, sich mit vielen Büchern zu umgeben. Also, auf geht’s zur Leipziger Buchmesse!
Und dann freut sich die Freitagsgefühl Redaktion über euren Bericht:
Wie verbringt ihr eure Zeit während der Buchmesse?
Welche Tipps bringen euch gut durch den Messetag?
*Auszug aus der offiziellen Website der LBM 2017
Leipzig liest Samstagabend im Café Puschkin.
Keine Ahnung, wer da gelesen hat, als wir 21.00 Uhr kamen, verabschiedete sich der Autor. Aber der Wein war gut. Wir schafften es noch ins UT Connewitz zur Balkan-Nacht und erlebten die letzten beiden Autoren (Namen vergessen). Einer war alt und bärtig, einer rebellisch jung mit Bierflasche in der Hand. Sie lasen in ihrer Muttersprache und anschließend wurde der gleiche Textschnipsel in der deutschen Übersetzung vorgetragen. Dazwischen Interview mit Simultan-Dolmetscher. Der Saal war proppevoll, stickig, feucht – und es war langweilig. Der eine erzählte von seinen Erlebnissen als Taxifahrer in Los Angeles, Stil der Geschichte war Bukowski light. Sehr light. Der andere berichtete von seinen Kindheitserinnerungen auf einem Kuhdorf in Kroatien, die Story vom Hausabriss hatte weder Anfang noch Ende, geschweige denn einen Spannungsbogen – wurde jedoch in der Heimat euphorisch gefeiert, wie die Moderatorin erklärte. Nun gut. Zum Glück wartete unser Dackel im Auto, mit dem wir noch einen Nachtspaziergang an der frischen Luft durch den Agra-Park machten. Am morgigen Sonntag habe ich selbst einen Auftritt – ich lese nicht, sondern improvisiere, zaubere und quatsche mir den Mund fusselig – als Clown. So, das war mein Eindruck vom Rand der Leipziger Buchmesse. Begeisterung sieht anders aus. 😉
Liebe Grüße, Claudia